Tag 12
Der heutige Morgen hat mit einem malheur in meiner Küche angefangen. Ich hatte mir eine Brühe zubereitet - auf Vorrat, um mir davon in den kommenden Tagen des sich verschärfenden Lockdowns schnelle und gesunde Gerichte zuzubereiten.
Ich mache das seit einigen Wochen jede Woche. Und fast jede Woche ging irgendetwas schief: mal habe ich (wertvolle) Zutaten in der falschen Reihenfolge hinzugefügt und damit den Geschmack verwässert, mal habe ich zu wenig gekocht und mein Thai-Gericht verkam zu einer klebrig-pappigen, unansehnlichen und auch wenig schmackhaften Pampe. Das andere Mal hatte ich nur ein Teil der Brühe sofort für ein - sehr schmackhaftes und gelungenes - Nudel-Gericht verwendet und bin nicht dazu gekommen, den Rest der Brühe zu verwerten bzw. einzufrieren. Ich konnte den verdorbenen Rest nur noch wegschütten.
Gestern hatte ich größere Mengen vorgekocht, weil ich so Lust auf meine Lieblingseintöpfe in den nächsten Tagen habe: Linsensuppe, Kürbissuppe, Gemüsesuppe. Heute Morgen also habe ich die Suppe portionieren wollen. Das Problem heute: ich hatte das Fassungsvolumen einer Schüssel überschätzt und merkte beim passieren der Brühe nicht, dass die Schüssel schon randvoll war und die Brühe in größeren Mengen überlief und sich auf meiner Arbeitsplatte ergoss … als ich es merkte, war das Malheur schon geschehen und ich brauchte einige Zeit, alles wieder aufzuwischen und die Küche halbwegs sauber zu machen. Erst dann konnte ich mich wieder an meinen Schreibtisch setzen, und weiter arbeiten. Jetzt ist die Brühe aber gut verarbeitet: Mehrere Portionen sind auf den Kühlschrank, das Gefrierfach und auf das Gericht für die nächsten zwei Tage verteilt.
Meine Mutter hat mir nie wirklich das Kochen beigebracht. Von meiner älteren Schwester, die als Studentin in einer Großküche ausgeholfen hat und seit über 30 Jahren in Frankreich lebt und mit ihren kulinarischen Fertigkeiten bestens zur deutsch-französischen Verständigung beiträgt, habe ich viel gelernt.
Aber am meisten lerne ich durch meine eigenen Erfahrungen - den guten und den schlechten. Ich könnte mich jetzt darüber aufregen, dass ich in meinem Alter immer noch nicht in der Lage bin, das Fassungsvermögen eines Gefässes richtig abzuschätzen - und ich höre auch einige kritische Stimmen aus meinem Bekannten- und Familienkreis, die kopfschüttelnd daneben stehen. Ja, das ist frustrierend und wäre vermeidbar gewesen. Zu meiner Entschuldigung kann ich einwenden, dass ich mir mit meinem letzten Umzug diesen Sommer eine komplett neue Ausrüstung an Töpfen und Gefäßen zugelegt habe - und noch nie so regelmäßig in diesen Mengen gekocht habe, wie in diesem Pandemie-Jahr im Homeoffice.
Aber vor wem soll ich mich eigentlich entschuldigen? Vor meinem eigenen inneren Kritiker - das bringt nix, der wird auch am nächsten Tag wieder den Kopf schütteln, wenn er sieht, wo jetzt wieder die Staubfluseln herumlungern, weil ich bei aller Zeit fürs Kochen das Saugen vergessen habe.
Ich kann aber auch einfach mal aushalten, was schief geht: mich vielleicht kurz ärgern, dass ich jetzt die gute Brühe und meine Zeit verschwendet habe, und dann die Konsequenzen daraus ziehen. Ein zweites Mal wird mir dieses Malheur nicht passieren - und die Gemüsesuppe ist bald fertig und nach meinem Blog genieße ich ein schmackhaftes Mittagessen - denn kochen kann ich inzwischen wirklich gut ….also, meistens …
Wo gehobelt wird, da fallen Späne: zu jeder produktiven Tätigkeit gehören Momente, in denen es nicht gut läuft oder die schlichtweg unangenehm, lästig, dreckig, kompliziert, bedrohlich erscheinen. Diese Momente mit positivem Denken ("Das wird schon!") zu überzuckern, ist genauso schädlich, wie die Verleugnung oder Degradierung von "Drecksarbeit" aus falsch verstandenem Ehrgeiz: "Ich bin effizient, ich verursache keine Späne" - "Das ist unter meinem Niveau, dafür bin ich mir zu schade".
Beide Einstellungen entwürdigen zum Beispiel die ungeschminkte Konfrontation mit Leiden und die harte Arbeit, die das medizinische Personal auf der ganzen Welt während der Pandemie leisten.
Ich arbeite sehr gerne - und ich arbeite viel. Darunter sind Tätigkeiten, die ich ganz bestimmt nicht (immer) gerne mache. Aber ich befinde mich meistens in einem Flow, in dem ich mich auf das konzentriere, was jetzt gerade passiert - ohne es zu bewerten. Und das Ergebnis meiner Arbeit macht mich zufrieden und dankbar: dankbar, meine Erfahrungen zu erweitern, etwas zu lernen und über mich hinaus zu wachsen - und idealer Weise noch zum Mehrwert für andere beigetragen zu haben. Und ich bleibe mit mir verbunden und genieße jeden Moment.
Ich lade jetzt meine Nachbarin zum Mittagessen ein und genieße meine Suppe!