Tag 21
Tiefe Dunkelheit in den langen Winternächte und das pralle Leben, von dem ich gestern gesprochen habe - das widerspricht sich doch! Die Wintersonnenwende verbindet man mit der Ruhe der dunklen, langen Nacht oder dem stillen Sonnenuntergang, aber doch nicht mit Lebendigkeit? Lebendigkeit ist Bewegung, Fortschritt, Energie …
Ja, genau, Energie! Gute Meditationsanleitungen bringen uns bei, in der Meditation nicht einfach ruhig zu sein, passiv zu sein. Es geht in der Meditation nicht darum, weg zu dösen. Es geht vielmehr darum, seine Wahrnehmung zu schärfen, ohne sich von Bewegungen, Geräuschen und Gedanken ablenken zu lassen. Die Bewegungen, die Geräusche, die Gedanken - die gibt es auch weiterhin, die lassen sich auch nicht unterdrücken oder verleugnen. Aufmerksamkeit bei gleichzeitiger Entspannung ist kein Widerspruch: Der Clou in einer Meditation besteht darin, aufmerksam zu sein, ohne sich anstrengen zu müssen, ohne das, was gerade geschieht zu bewerten. Es geschieht und meine inneren Sinne nehmen es war - nicht mehr, nicht weniger.
Und was geschieht, ist ein ständiger Prozess, es ist Wandel in jedem Moment. Etwas geht, etwas neues kommt.
Ich habe erst kürzlich nochmal gelesen, dass die Länge der Tage sich vom 21. Dezember für 3 Tage nicht verändern. Am 4. Tag dann, da gewinnt der Tag wieder die Oberhand. Ich hatte mich immer gefragt, warum man Weihnachten, dessen Datum ja eh nichts mit dem tatsächlichen Geburtstag von Jesus Christus zu tun hat, nicht auf den 21. Dezember gelegt hat, um Licht mit einem Christbaum in die längste Nacht des Jahres zu bringen - zumindest auf der Nordhalbkugel, wo sich das Christentum ja anfangs ausgebreitet hat.
Jetzt wurde mir erneut klar (habe ich bestimmt mal irgendwann im Religionsunterricht gelernt, aber wieder vergessen): am 24. Dezember feiert man das Licht, das von nun an ganz unauffällig und doch spürbar bis zur Sonnenwende im Juni immer mehr zunimmt.
Die Achtsamkeitsübung der Meditation hilft, die Aufmerksamkeit für die kleinen Nuancen zu spüren. Wir nehmen das Dunkle war, wir fühlen vielleicht auch die Traurigkeit oder Melancholie, die von dieser Dunkelheit ausgeht. Aber wir bewerten sie nicht, wir nehmen sie an und schärfen unsere Wahrnehmung gleichzeitig für die Gefühle der Hoffnung, die aus dem wachsenden Licht langsam aber stetig entsteht.
Und das ist der Zauber von Wandel: An den Wendepunkten brechen sich die Widersprüche in der ganzen Fülle des Lebens wie in einem Prisma. Mit der Fülle erkennt man, das man viel mehr aushalten kann, als man sich verstellen mag - so auch die tiefe Dunkelheit in unseren Breitengraden im Dezember.