Bruttonationalglück in Bhutan – ein zu 100% säkularer Ansatz

Gross National Happiness

November 22, 2020

bhutan beitragsbild

Buddhismuss und das Bruttonationalglück-Konzept

Wenn wir über Bhutan und das Konzept des Brutto National Glücks sprechen, kommen wir nicht umhin, den geistigen Einfluss der buddhistischen Philosophie zu betrachten – es geht um Spiritualität in diesem Beitrag!

Aufgewachsen in einem katholisch geprägten Tal in der Nähe des Rheins in Deutschland, beruhen meine eigenen spirituellen Wurzeln auf christlichen Grundsätzen. Ich bin in einem Umfeld offener Einstellungen aufgewachsen, tolerant gegenüber unterschiedlich gesinnten ethnischen Gruppen. Ich hatte wenig Berühung mit dem Buddhismus gehabt, bis ich das erste mal nach Bhutan gereist bin. Ich wollte daher nicht nur die Natur, die Menschen und die Kultur entdecken, sondern auch die geistige Haltung ergründen, die diese Region so tief geprägt hat. Ich wusste nur soviel: Das Christentum gilt als eine Religion, während der Buddhismus vielmehr eine spirituelle Weltanschauung ist.

Weltanschauung? Einmal in den Alltag in Bhutan eingetaucht, begriff ich sehr schnell – das ist nichts Verkopftes, das ist eine innere Haltung, allgegenwärtig im Alltag der Menschen. Es würde einen eigenen Artikel erfordern, die sichtbare und unsichtbare Omnipräsenz der buddhistischen Geisteshaltung im Alltag Bhutans und in der Begegnung mit den Menschen zu beschreiben – und es würde immer unvollständig bleiben. Es ist eine überwältigende sinnliche Erfahrung – vielleicht mehr dazu in einem neuen Beitrag …

Gebetsfahnen am Yotongla-Pass

Gebetsfahnen am Yotongla Pass, 3400 m

Dochu La Pass

108 Stupas am Dochula Pass, West-Bhutan. Diese Gedenkstätte wurde von der königlichen Familie erbaut, zur Würdigung der gefallenen Soldaten des Landes, die in einer kriegerischen Auseinandersetzung mit Assamesischen Rebellen 2003 getötet wurden.

Die eindrucksvollste Manifestation der eng verwobenen Verbundenheit von staatlicher und geistlicher Macht in Bhutan ist die Architektur der Dzongs. Dzongs sind riesige, beeindruckende Festungsanlagen, die größtenteils zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert meist auf Hügeln erbaut wurden – ähnlich den mittelalterlichen Burgen in Europa. In jedem der 20 Regierungsbezirke gibt es einen solchen Dzong. Sie dienen bis heute als administratives, militärisches und soziales Zentrum eines vom Gouverneur geführten Distrikts. Diese Festungen beherbergen immer auch eine geistliche Gemeinschaft von Mönchen und buddhistischen Autoritäten. Im inneren der Burganlagen gibt es mehrere Tempel und Schreine und es werden wichtige, jahrhundertalte spirituelle Schriften zur buddhistischen Lehre aufbewahrt. Im Dzong der Hauptstadt Thimphu haben sowohl der König, sowie der Präsident mit seinem Kabinett als staatliches Oberhaupt mit dem demokratisch gewählten Parlament einen Sitz, als auch das geistliche Oberhaupt der buddhistischen Gemeinde Bhutans, der Ye Kenpo. Diese Art von öffentlichem Gebäude manifestiert bis heute die enge Dualität von sakraler und politischer Macht, mehr als 100 Jahre nach dem Ende der letzten buddhistisch-theokratischen Regentschaft in Bhutan.

Dzong in Trashigang

Trashigang Dzong 2014

Historisch wichtige geistliche Führer Bhutans:

Padmasambhava, auch der zweite Buddha oder Guru Rinpoche genannt

Padmasambhava war im 8. Jahrhundert ein indischer Buddhist, der das spirituelle Leben in Tibet, Nepal und Bhutan beeinflusst hat. Mit seiner Mission der Botschaft Buddhas, basierend auf den allerersten alten Übersetzungen aus Sanskrit, wurde er zur Reinkarnation des ursprünglichen Buddha, daher auch die Bezeichnung als zweiter Buddha.

Über die historische Figur von Padmasambhava ist nur sehr wenig bekannt. Die Legende besagt, dass er als Pilger im Westen Bhutans eintraf – auf dem Rücken seiner geistlichen Gefährtin Yeshe Tsagyal, die sich in einen fliegenden Tieger verwandelt hatte. An der Höhle, in der sie meditierten, hoch oben in einem steilen Felsen, entstand ein Tempel – das berühmteste Wahrzeichen und Touristenziel des Landes, aber auch eines der wichtigsten Pilgerziele für die Bhutaner – der Paro Taktsang, besser bekannt als Tiger’s Nest.

Padmasambhava zog weiter nach Zentral-Bhutan, Bumthang, wo er gegen einen wütenden Dämonen kämpfte und ihn besänftigte, der von einem örtlichen König provoziert worden war. Seine Siege gegen böse Gottheiten und Dämonen in der gesamten Region markieren die Landkarte Bhutans. Mit seiner Kraft, die in 8 verschiedenen Manifestationen verkörpert wird, ist Padmasambhava als nationaler Held, Heiliger und spiritueller Gründer Bhutans auf den Schreinen im ganzen Land allgegenwärtig. Die größte Skulptur, die 2011 fertiggestellt wurde, kann im Osten des Landes in Lhuntse besichtigt werden, auch ein wichtiges Pilgerziel und Ort meditativer Exerzitien für die Bhutaner.

Padmasambhava Statue in Lhuntse, Ost-Bhutan

Padmasambhava-Statue in Lhuntse, Ost-Bhutan

Ngawang Namgyal , auch Zhabdrung Rinpoche (1594 – 1651) genannt

Ein weiterer buddhistischer Lama aus Tibet mit großem Einfluss auf die buddhistisch geprägte nationale Identität Bhutans, war Ngawang Namgyal. Während Padmasambhava als spiritueller Vater der buddhistischen Religion in Bhutan gilt, steht Namgyal vor allem für den politischen Aufbau Bhutans. Unter seinem Regiment als erster geistlicher Souverän erlebte Bhutan die Wiedervereinigung von fünf Hauptbezirken zu einem zentral regierten Land. Mit Ngawang Namgyal als Zhabdrung Rinpoche („Rinpoche“ ist ein buddhistischer Titel für eine hochgestellte Autorität) begann die lange Periode der Theokratie, der vereinten weltlichen und (Buddhistisch) spirituellen Regierungsmacht in Bhutan, die mit der Wende zum 20. Jahrhundert endete.

Zhabdrung Rinpoche legte auch den geistigen Grundstein für die erste Niederschrift nationaler Gesetzgebung im frühen 18. Jahrhundert. In diesem ersten Gesetzbuch Bhutans wurde das Glück bereits als zentrales Ziel politischer Regierungsarbeit definiert, basierend auf buddhistischen Grundsätzen. Darin heißt es:

„Wenn die Regierung kein Glück und keinen Frieden für ihr Volk schaffen kann, hat die Regierung keinen Zweck, zu existieren.“ 1. RECHTLICHER CODEX VON BHUTAN, 1729

Buddhistische Werte formen die DNA für Glück in Bhutan: Schauen wir uns das Gesetztbuch noch genauer an: Die Gesetzgebung basiert auf buddhistischen Regeln, die von einer Reihe tibetischer Schriften übernommen worden sind und über die gesamte Himalaja-Region verbreitet wurden. Zum Beispiel die „16 reinen Gesetze des Menschen“ und die „10 Gesetze des Götter [Quelle: Karma Puntsho, Die Geschichte Bhutans]. Befremdlich wirkt nur der „böse Blick von Frauen“ – alles andere findet sich so genauso in europäischen Codices aus dieser Epoche:

Die zehn tugendhaften Gesetze der Götter Die sechzehn reinen Gesetze der Menschheit
Leben retten (vermeiden, das Leben zu nehmen) Suche Zuflucht und folge den drei Juwelen
Keuschheit (vermeide sexuellem Missbrauch) Durchschreite die drei Türen (Körper, Sprache, Geist) zum Dharma
Wohltätigkeit (vermeide Veruntreuung) Diene Deinen Eltern und denen, die Dir freundlich waren
Ehrlichkeit (vermeide falscher Rede) Respektiere die Gelehrten und Weisen
Versöhnung (vermeide die Ausaat von Zwietracht) Ehre die Älteren und Autoritäten
Freundliche Sprache (vermeide harte Worte) Sei aufrichtig zu Freunden und Verwandten
Nützliche Rede (vermeide müßigen Klatsch) Helfe jedem in der Gemeinschaft
Zufriedenheit (vermeide Begierde) Achte das Vorbild der Adligen
Liebende Güte (vermeide Hass) Sei weisem wenn Du Essen, Kleidung und Reichtum genießt
Richtige Ansichten (vermeide falsche Ansichten) Vergesse nie eine Nettigkeit oder einen Gefallen
Behandle alle mit Gleichmut
Vermeide Tricks durch Maße und Handlungen
Vermeide Eifersucht
Höre nicht auf schlechte Frauen
Sprich ruhig und angenehm
Sei offen und nachgiebig

Die vier edlen Wahrheiten

Die erste der vier edlen Wahrheiten lautet, das alles Leben Leiden ist, weil die Menschen nach Wohlstand und dauerhaftem Leben verlangen. Wir können mehr oder weniger Erfolg haben, wir verlieben uns und gründen eventuell eine Familie, wir machen vielleicht gute Geschäfte und leben an einem schönen Ort. Aber der Lebensverlauf, Krankheiten, Naturkatastrophen, menschliches Verhalten und schließlich das natürliche Lebensende machen all diese Erfolge anfällig. Das Verlangen nach mehr und dann das Erkennen, dass alles unbeständig und eine Illusion ist, ist schmerzhaft. Gier, Unwissenheit und Hass bilden den Grund allen Übels – ja genau – das ist das Gegenteil von Glück!

Die zweite Wahrheit besagt, solange wir uns nach diesen Dingen sehnen, werden wir in dieser schmerzhaften Welt wiedergeboren und die Unzufriedenheit wiederholt sich immer wieder.

Die dritte Wahrheit handelt davon, dass dieser Kreislauf durchbrochen werden kann, indem man das Verlangen und die Sucht nach Dingen und Glück verheißenden Ereignissen aufgibt.

Die 4. Wahrheit besagt schließlich, dass man sein Verlangen und seine Sucht aufgeben kann, wenn man nach der Lehre Buddhas, dem Dharma, lebt.

Demut und Dankbarkeit als Grundhaltungen im Buddhismus

Also eine wichtige Erkenntnis der vier edlen Wahrheiten ist: Das Leben ist schmerzhaft und das Verlangen nach mehr, als was wir für unsere Grundbedürfnisse brauchen, ist eine Hauptursache für den Schmerz. Das lässt sich in unserer modernen Konsumgesellschaft nicht leugnen: Wir können uns so viel leisten – aber sind wir deshalb glücklich??? Die Sehnsucht nach Konsum ist auch in Bhutan vorhanden – aber man spürt bei den Menschen trotz alledem eine Demut vor dem Leben – mit der die Wirklichkeit in einem besonderen Licht betrachtet wird: Das Leben ist nicht dauerhaft, das Leben umfasst die Anziehungskraft des Guten sowie die Bedrohung des Bösen in jedem Augenblick. Die Realität anzunehmen und dankbar zu sein für das was wir in jedem einzelnen Moment besitzen und erleben, ist aber entscheidend, um Schmerz und Schaden zu lindern.

Karma – jede Handlung löst eine Reaktion aus

Ein Bklick auf die 2. edle Wharheit, die besagt, dass das Verlangen nach einem idealen Leben noch mehr Unzufriedenheit hervorruft, führt zum Hauptprinzipdes Karma im buddhistischen Denken: Wir wir handeln, bestimmt, wie wir unser Leben leben – in unserem Körper, mit unserer Sprache und in unserem Geist. In einer transzendentalen Sichtweise wird jede Handlung sogar definieren, in welchem Zustand jemand dem de Tod wiedergeboren wird. Diese Kausalitätsregel hat alle buddhistischen Gemeinschaften maßgeblich dazu veranlasst, sich eher auf das kollektive Wohlbefinden als auf die selbstsüchtige Befriedigung eines Individuums zu konzentrieren. Darüber hinaus führt die Regel des Karma dazu, jedem Handeln eine Sinn stiftende Bedeutung für das Gemeinwohl zu geben.

Mitgefühl, Weisheit und Achtsamkeit

Wenn Gier, Unwissenheit und Hass die bösen Ursachen eines schmerzhaften Lebens sind, sind Mitgefühl, Weisheit und Achtsamkeit die drei Lebenshaltungen, um ein schlechtes Karma zu vermeiden und Schmerzen zu überwinden. Dies ist auch das Hauptthema aller Lehren des aktuellen Dalai Lama.

„Compassion“ ist ein buddhistischer Begriff, der dem christlichen Begriff der Nächstenliebe und dem Sinn von Mitgefühl sehr nahe kommt – aber mehr noch das befruchtende Zusammenspiel von Menschen miteinander in Empathie und im Vertrauen guter Absichten benennt.

Die Weisheit des Karma definiert ethische Grundsätze und hilft, Konflikte zu vermeiden.

Achtsamkeit steht schließlich für eine Haltung, die sowohl Mitgewühl als auch von aufmerksamen Bewusstsein in allen Aktivitäten geprägt ist. Achtsamkeit wird mit dem Körper, dem Geist oder der Sprache praktiziert.

Zusammengefasst: Ja, Bhutan und seine Verfassung sind ohne Bezug zum Buddhismus nicht zu verstehen. Aber wenn man sich mit Buddhismus gefasst, geht es weniger um Religion und schon gar nicht um eine realitätsferne esoterische Spiritualität. Es geht vielmehr um eine ganzheitliche, bodenständige Haltung, die universelle ethische Werte vertritt – ein Ansatz, dem auch Agnostiker gut folgen können.