Meine erste Lockdown-Erfahrung im Dezember 2019 Teil 2 – Tag 15

Reiseberichte,Transformation und Advent

Dezember 16, 2020

Adventsblog 2020 Christiane Schicker

Tag 15

Ich war also in Guwahati, inmitten einer Ausgangssperre und einer unsichtbaren Bedrohung - es war Ein Uhr am Mittag. Ich wusste nur, dass es am Vortag heftige Ausschreitungen gegeben hatte. Ich hatte von meinen Bhutan-Reisen ein sehr diffuses Bild von Rebellen vor Augen, die mit willkürlicher Gewaltbereitschaft und anarchischer Gesinnung an der Grenze zwischen Bhutan und Assam im Dschungel seit mehr als 20 Jahren marodierten. Dass die Protagonisten der aktuellen Demonstrationen Studenten und Intellektuelle waren, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Ich war eine groß gewachsene, auffällige Touristin - glücklicher Weise verbarg ich meine Haare unter einem Haarband. Andere Haarfarben als Schwarz, verbunden mit meiner Körpergröße, erregen überall in Indien immer großes Aufsehen. Bei einem Besuch des Tadj Mahal in Agra in 2018 waren meine Haare und die roten Haare meiner Kollegin das beliebteste Fotomotiv der indischen Pilger.

Jedenfalls erregte ich an diesem Mittag vor dem Flughafen von Guwahati die Aufmerksamkeit der wachhabenden Militär-Polizisten - und gleich darauf der Taxi-Fahrer. Wenn ich sonst in einer indischen Stadt unterwegs war, gab es immer vertrauenswürdige Freunde oder einen Concierge in meinem Hotel, die sich um meinen Fahrer in einem halbwegs sicheren Fahrzeug gekümmert hatten. Reiseführer und selbst die Inder warnen eindrücklich davor, als Tourist mit den Männern (keiner von denen mit einer ernst zu nehmenden Taxi-Lizenz) vor den Ankunftshallen zu verhandeln. Aber dieses Mal war der Fahrer, der für Tshering und mich gebucht war, nicht greifbar - alles war anders, ich war auf mich selbst angewiesen. Ich hatte noch keine Telefonverbindung und hatte somit auch noch nicht mit Tshering gesprochen. Er hatte mir vor dem Abflug nur noch geraten, möglichst in einem Hotel in der Nähe des Flughafens einzuchecken.

Die Polizisten waren freundlich, aber ich merkte auch ihre Nervosität - denn ich war weit und breit die einzige westliche Touristin an diesem Tag…Sie fragten mich, ob sie mir helfen könnten - der Schalter für Hotelbuchungen sei derzeit nicht besetzt, und das Internet würde nicht funktionieren. Ich fragte sie, welches der zwei internationalen Hotels näher am Flughafen liegen würde, das Radisson Blue oder das NH-Hotel. Während dessen wurden das Gewühl und Stimmengewirr der Fahrer um uns herum immer lauter. Ich stand mitten in einem Kreis von zeternden Männern, als einzige Frau weit und breit. Die Polizisten waren sich nicht ganz sicher, meinten aber, das Radisson währe zu empfehlen. Die Stimmen der Fahrer wurde noch lauter, fordernder - sie riefen mir Preise zu. Einer der Polizisten riet mir noch, nicht mehr als 1500 Rupees als Fahrpreis zu akzeptieren. Und prompt gab es da einen sehr jungen Mann - er dürfte nicht älter als 23 Jahre gewesen sein, in einem weißen Kittel, etwas sauberer und freundlicher, als die anderen Männer, der bot mit leiser Stimme genau den empfohlenen Fahrpreis. Der Polizist nickte mir nochmal zu und sagte: Ja, fahren Sie zum Radisson Hotel.

Also fuhren wir los. Im Auto gelang es mir endlich, eine Telefonverbindung zu Tshering aufzubauen, der immer noch in der Grenzstadt Samdrup Jongkhar fest saß und nicht ausreisen durfte. Ich sagte ihm, dass ich auf dem Weg zum Radisson Hotel sei - er wollte nur wissen, wie weit das vom Flughafen entfernt sei. Ich hatte keine Ahnung und mit dem Fahrer konnte ich mich nicht wirklich unterhalten, er sprach kaum Englisch….

Ich legte auf und die Fahrt zog sich quälend lang hin - und es war richtig spokie: ich kannte die Straßen Guwahatis von meinen früheren Besuchen sehr gut. Normaler Weise sind überall zahlreiche Menschen unterwegs - zu Fuß, auf Rikschas und Fahrrädern oder auf kleinen Mopeds. Und natürlich viele Autos, Busse und LKW's. Guwahati ist eine pulsierende Stadt, ein wichtiger wirtschaftlicher Knotenpunkt an der Grenze zwischen Bhutan und Bangladesch. Das Menschengewirr mit mobilen Marktständen und Garküchen in den Straßen dort ist normaler Weise genauso wuselig, wie man es von Delhi oder Mumbai kennt. An diesem Tag aber: KEIN Mensch, noch nicht mal Kühe waren auf den Straßen unterwegs und nur ganz wenige Autos. Im Auto war es auch still, da ja keine Unterhaltung zwischen mir und dem Fahrer möglich war…. Wir waren auf einer vierspurigen Autobahn unterwegs. Auf der Gegenspur tauchte eine erste Straßensperre aus brennenden Autoreifen auf. Jetzt drehte sich der Fahrer doch zu mir um, verwies auf die Straßensperre, grinste über das gesamte Gesicht - aber mir schien es mehr ein nervöses Lachen zu sein und er schimpfte irgendetwas in seinem Dialekt … fuhr aber noch weiter. Kurz darauf verlangsamte er und wir blieben auf einem Seitenstreifen stehen… Stille … ich konnte nix erkennen, für mich war die Straße immer noch menschenleer, ich sah auch keine weiteren Barrieren. Hinter uns kamen andere Fahrzeuge auch zum Stehen - und kehrten schließlich um. Der Fahrer starrte einfach nur durch die Windschutzscheibe - ich hatte keine Ahnung, was gerade passierte. Ich hatte die einzig' richtige Eingebung, nämlich Tshering anzurufen, denn er spricht Hindi.

Und mein Fahrer war sooo erleichtert, als er mit Tshering sprechen konnte, das war deutlich zu spüren. Jetzt sah ich auch, was ihn zum stoppen veranlasst hatte: in vielleicht 200 - 300 m Entfernung standen Demonstranten auf dem Dach einer Bauruine am Straßenrand und skandierten mit Bannern. Tshering gab ihm Anweisungen, mich zu einem Hotel zu bringen, in dem wir ein Jahr zuvor mit einer schwedischen Reisegruppe genächtigt hatten. Er versuchte telefonisch Kontakt zur Rezeption zu bekommen. Es war tatsächlich die sicherste Variante, denn das Hotel befand sich in einem großen, befestigten Parkareal direkt am Flughafen und war auf internationale Gäste eingestellt. Der Taxifahrer kannte das Hotel nicht. Tshering gab ihm Richtungsanweisungen und wollte sich wieder melden, wenn er eine Bestätigung vom Hotel hatte. Sie legten auf und mein Fahrer wendete. Die Erleichterung hielt jedoch nur für einen kurzen Moment an, denn …. Wir fuhren ja nun auf der Gegenspur und nur wenige Minuten später fanden wir uns vor der brennenden Straßensperre wieder… auch wenn das Auto daran vorbei kam, stoppte der Fahrer - sonst kein anderes Fahrzeug in der Nähe und niemand war zu sehen. Er murmelte irgendwas, schaute nach links in die Straßen des angrenzenden Wohngebietes … und dann tauchten drei finster dreinblickende Gestalten auf und näherten sich dem Fahrzeug….ich hatte schon am Anfang der Fahrt gecheckt, dass die hinteren Türen verriegelt waren.
Wie es weiter ging, und wie sich meine Angst sich in ein warmes Gefühl von Frieden, Mitgefühl und kultureller Integration verwandelte, das ist am 16. Adventsblog-Tag nachzulesen

Den ersten Teil gibt es hier